Teilzeit als neuer Standard?

Warum immer mehr Fachkräfte kürzer arbeiten

Lange Zeit galt die 40-Stunden-Woche als das Maß aller Dinge. Wer erfolgreich sein wollte, arbeitete Vollzeit oder sogar mehr. Doch diese Zeiten scheinen vorbei zu sein. Immer mehr Menschen entscheiden sich bewusst für eine Reduzierung ihrer Arbeitsstunden. Was früher als Notlösung galt, wird nun zur attraktiven Alternative. Doch warum ist das so? Ist es nur ein persönlicher Wunsch nach mehr Freizeit, oder steckt ein größerer gesellschaftlicher Wandel dahinter?

Teilzeit in Österreich: Zahlen, Fakten und ein europäischer Vergleich

Teilzeitbeschäftigung ist in Österreich keine Randerscheinung mehr – sie ist fester Bestandteil des Arbeitsalltags und prägt zunehmend die Struktur des Arbeitsmarkts. Besonders auffällig: In kaum einem anderen EU-Land ist Teilzeit so verbreitet wie hier.

Laut Eurostat arbeiteten im Jahr 2024 rund 51 % der Frauen in Österreich in Teilzeit – das ist jede zweite berufstätige Frau. Bei den Männern liegt der Anteil zwar deutlich niedriger, aber auch hier ist ein klarer Anstieg zu beobachten: Etwa 14 % der österreichischen Männer arbeiten mittlerweile in Teilzeit. Der relative Zuwachs ist bei ihnen sogar stärker, wenn auch von einem niedrigeren Ausgangsniveau. Das bedeutet, dass der Anteil der Männer, die Teilzeit arbeiten, in den letzten Jahren schneller gestiegen ist – auch wenn er immer noch unter dem der Frauen liegt.

Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Teilzeitquote der Frauen zwar ebenfalls hoch, aber doch etwas unter dem österreichischen Niveau. Bei den Männern bewegen sich die Zahlen in beiden Ländern auf ähnlichem Niveau.

Noch deutlicher wird der Unterschied im europäischen Vergleich: Während Österreich bereits weit vorne liegt, übertreffen die Niederlande nochmals alle – dort arbeiten rund zwei Drittel der Frauen und etwa ein Viertel der Männer in Teilzeit. Österreich liegt damit auf Platz zwei im EU-Vergleich – ein klares Signal, dass Teilzeitarbeit hierzulande längst mehr ist als nur ein Übergangsmodell.

Warum entscheiden sich Menschen für Teilzeit? – Zwischen Lebensphasen, Werten und Realität

Die Gründe, warum Menschen sich für Teilzeit entscheiden, sind vielfältig – und sie haben sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Wo früher familiäre Verpflichtungen oder gesundheitliche Probleme dominierten, steht heute oft der Wunsch nach mehr Lebensqualität im Vordergrund.

1. Kinderbetreuung – (immer noch) der Klassiker bei Frauen

Allen voran bleibt die Kinderbetreuung ein zentraler Beweggrund – vor allem bei Frauen. Laut Eurostat arbeitet jede dritte Mutter in Österreich in Teilzeit, weil sie ihre Kinder betreuen muss. Das liegt nicht nur an persönlichen Prioritäten, sondern oft auch an strukturellen Rahmenbedingungen: fehlende Ganztagsbetreuung, hohe Kosten oder mangelnde Flexibilität seitens der Arbeitgeber zwingen viele Eltern zur Reduktion ihrer Arbeitszeit.

Bemerkenswert: Die Entscheidung zur Teilzeit fällt dabei nach wie vor überwiegend bei Frauen – und damit oft zulasten ihrer langfristigen Karriereentwicklung und Altersvorsorge. Männer greifen in Österreich nur selten aus diesem Grund zur Teilzeit. Hier dominiert ein anderes Bild.

2. Männer in Teilzeit – andere Motive, andere Dynamik

Bei Männern ist der Anteil an Teilzeitbeschäftigten zwar deutlich niedriger, aber stetig wachsend. Und ihre Beweggründe unterscheiden sich: Statt Kinderbetreuung stehen oft „sonstige Gründe“ im Vordergrund. Das umfasst:

• den Wunsch nach mehr Zeit für sich selbst

• mentale Entlastung, um Stress und Burnout vorzubeugen

• Engagement in persönlichen Projekten

• Zeit für Ehrenamt oder Pflege von Angehörigen

• oder schlicht die Suche nach einem anderen Lebensrhythmus

Dieser Trend zeigt: Auch Männer hinterfragen zunehmend die klassische 40-Stunden-Woche – vor allem in urbanen und akademischen Milieus.

3. Work-Life-Balance und Gesundheit – der neue Goldstandard

Ein sehr häufiger Grund, der bei beiden Geschlechtern an Bedeutung gewonnen hat: Work-Life-Balance. Viele Menschen sind heute nicht mehr bereit, ihre Gesundheit oder ihr Privatleben dem Beruf unterzuordnen. Nach Jahren der ständigen Erreichbarkeit, Überstunden und wachsendem Druck rückt das persönliche Wohlbefinden stärker in den Fokus. Psychische Gesundheit, Zeit für Familie und Freunde, aber auch einfach Pausen vom ständigen Funktionieren werden heute viel ernster genommen als noch vor zehn Jahren.

4. Neue Werte und Generationen – Teilzeit als Statement

Vor allem bei der Generation Y (Millennials) und der Gen Z zeigt sich ein spürbarer Wertewandel: Arbeit soll sinnvoll, flexibel und vereinbar mit dem Leben sein. Karriere ist wichtig – aber nicht um jeden Preis. Teilzeit wird daher zunehmend bewusst gewählt – nicht aus Not, sondern aus Überzeugung. Der klassische 9-to-5-Job hat für viele junge Berufstätige an Attraktivität verloren, wenn er nicht mit Selbstbestimmung und persönlicher Weiterentwicklung vereinbar ist.

5. Weiterbildung und berufliche Neuorientierung

Nicht zuletzt ist Teilzeit für viele auch eine strategische Entscheidung. Wer sich weiterbilden, umschulen oder neben dem Job ein Studium absolvieren möchte, braucht dafür Zeit. Immer mehr Menschen nutzen Teilzeitmodelle, um sich beruflich weiterzuentwickeln, neue Wege zu gehen oder sich bewusst auf einen Karrierewechsel vorzubereiten.



6. Mehr Netto trotz Teilzeit – das paradoxe Gehalt

Teilzeit kann in manchen Fällen sogar zu mehr Netto-Gehalt führen. Das klingt zunächst widersprüchlich, ist aber real – vor allem in Branchen wie der Pflege oder im Sozialbereich. Wer durch Teilzeit in eine günstigere Steuerklasse rutscht oder unter bestimmte Beitragsgrenzen fällt, hat am Ende des Monats manchmal mehr vom Bruttolohn übrig als in Vollzeit.

Dieses Phänomen tritt insbesondere dann auf, wenn durch die geringere Arbeitszeit Sozialversicherungsbeiträge oder Steuerabzüge sinken. In einigen Fällen kann dies dazu führen, dass das Netto-Gehalt in Teilzeit höher ausfällt – ein Effekt, der viele Teilzeitbeschäftigte positiv überrascht.

Das mag nicht für alle gelten, aber es zeigt: Teilzeit ist nicht automatisch finanzieller Verzicht. Im Gegenteil: In manchen Fällen kann es sogar ein cleverer Schachzug sein, der es ermöglicht, mehr zu verdienen, als man zunächst denkt.


Herausforderungen für Arbeitgeber durch den Teilzeit-Trend

Obwohl Teilzeit für viele Arbeitnehmer Vorteile bietet, stellt es Arbeitgeber vor einige Herausforderungen. Insbesondere Unternehmen, die bislang stark auf Vollzeitstellen und klassische Arbeitsmodelle gesetzt haben, müssen ihre Strukturen und Prozesse anpassen.

1. Höherer Planungsaufwand

Mehr Teilzeit heißt oft auch: mehr Köpfe für die gleiche Arbeit. Arbeitszeiten, Urlaube, Übergaben – all das muss sorgfältig koordiniert werden. Besonders in kleinen Teams kann das zu Engpässen oder doppeltem Aufwand führen, wenn Informationen mehrfach weitergegeben werden müssen.

2. Kommunikation wird komplexer

Teilzeitkräfte sind nicht durchgehend erreichbar, was spontane Abstimmungen erschwert. Wichtige Informationen gehen verloren oder erreichen nicht alle zur richtigen Zeit – vor allem dann, wenn Prozesse nicht digital oder gut dokumentiert sind. Das kann den Workflow verlangsamen und Reibungsverluste verursachen.

3. Eingeschränkte Flexibilität

In Branchen mit wechselnden Anforderungen ist es oft schwierig, mit vielen Teilzeitmodellen flexibel zu reagieren. Spontane Dienste oder Überstunden lassen sich schwerer organisieren, wenn nur begrenzte Kapazitäten zur Verfügung stehen.

4. Unterschiedliche Belastung im Team

Vollzeitkräfte empfinden es manchmal als ungerecht, wenn sie mehr Aufgaben oder Verantwortung übernehmen – während Teilzeitkräfte ähnliche Benefits genießen. Umgekehrt fühlen sich Teilzeitkräfte gelegentlich außen vor, etwa bei Entscheidungen oder Entwicklungsmöglichkeiten. Das kann auf Dauer zu Unzufriedenheit oder Spannungen führen.

5. Fluktuation und Know-how-Verlust

Vor allem in Berufen mit hoher Teilzeitquote ist die Fluktuation oft höher. Wer wenig Stunden arbeitet, bleibt seltener langfristig im Betrieb. Das bedeutet für Unternehmen: mehr Einarbeitungszeit, mehr Recruiting und oft auch Verlust von Know-how.


Fazit: Teilzeit ist gekommen, um zu bleiben

Teilzeit ist für viele Arbeitgeber eine Herausforderung – aber auch eine echte Chance. Wer frühzeitig flexible Modelle anbietet, gewinnt an Attraktivität und signalisiert Offenheit für moderne Arbeitswelten. Dafür braucht es neue Strukturen, klare Kommunikation und ein Umdenken in Bezug auf klassische Rollen- und Zeitmodelle.

Denn klar ist: Teilzeit wird bleiben. Sie wird individueller, vielfältiger und mehr und mehr zur Normalität. Unternehmen, die diese Realität annehmen und aktiv gestalten, werden nicht nur bestehende Mitarbeitende binden – sie werden auch die Fachkräfte der Zukunft anziehen.

Teilzeit ist längst mehr als nur ein Arbeitszeitmodell. Sie ist Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels – hin zu mehr Selbstbestimmung, Vereinbarkeit und Lebensqualität. Besonders in Österreich, das im EU-Vergleich zu den Ländern mit dem höchsten Teilzeitanteil zählt, wird dieser Wandel besonders sichtbar. Damit wächst auch die Verantwortung, die Arbeitswelt neu zu denken.

Für viele Menschen ist Teilzeit heute keine Notlösung mehr, sondern ein bewusst gewählter Weg. Ein Modell, das Beruf und Leben besser miteinander vereint. Nicht entweder oder – sondern beides.